Elterngeld planen und berechnen
Optimierung des Elterngeldrechners für partnerschaftlichere und flexiblere Planung der Elterngeld-Zeit. 
Zeitraum
2022, 3 Monate
Rahmen
Dieses Projekt fand im Rahmen des dreimonatigen Fellowship-Programms Tech4Germany und in Zusammenarbeit mit dem Referat 211 aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend statt.
Team 
Albina Kremer (UX Fellow)
Jenny Huang (Engineering Fellow)
Johanna Koetter (Product Fellow)

Vertreterinnen des Referats 211 aus dem BMFSFJ
Skills
User Research
Usability Testing
Prototyping
Workshop-Moderation
Pitch Präsentation
Intro
Hintergrund zum Projekt
Im Rahmen Fellowship-Programms Tech4Germany arbeitete ich drei Monate an einer prototypischen Lösung für den Elterngeldrechner des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Mein großartiges Team setzte sich aus drei weiteren Fellows und vier Vertreterinnen des Ministeriums zusammen. 

Ziel war es, den bestehenden Elterngeldrechner neu zu denken und den Eltern ein Tool an die Hand zu geben, was selbsterklärend ist und sie in ihren individuellen Entscheidungsprozessen unterstützt. 
Auf dem Weg dahin gestalteten wir gemeinsam einen agilen und nutzerzentrierten Prozess. Teile unseres prototypischen Ergebnisses wurden bereits im aktuellen Elterngeldrechner implementiert. Das Gesamt-Projekt wird aktuell weitergeführt.
Ausgangspunkt
Warum der Elterngeldrechner?
Die Gestaltung der Elterngeld-Bezugsmonate (im Folgenden "Elterngeldzeit") beeinflusst den Wiedereinstieg in den Beruf, die Rente und die Aufgabenteilung innerhalb der Familie. Laut Statistik werden die Möglichkeiten des Elterngeldes nicht ausgeschöpft und es werden bevorzugt traditionelle Modelle gewählt, bei denen vorwiegend die Mutter Elterngeld bezieht und das Kind betreut. 


Mit folgenden Fragen starteten wir in das Projekt: 

❓Warum wird das Elterngeld nicht voll ausgeschöpft? Wird diese Entscheidung bewusst getroffen?

❓Was muss ein neuer Elterngeldrechner können, damit Nutzer:innen entsprechend ihrer individuellen Ausgangssituationen eine informierte Entscheidung treffen können?

❓Kann das Tool eine partnerschaftlichere Aufteilung der Bezugs-Monate anstoßen? Und was bedeutet "partnerschaftlich" in diesem Kontext überhaupt?
Erkunden – Recherche
Verwaltungsstruktur und Elterngeld verstehen
Wir starteten mit Desk Research und dem Testen des aktuellen Elterngeldrechners. Zudem führten wir 6 Stakeholderinterviews mit Personen aus angrenzenden Referaten, der IT und der Anlaufstelle für Fragen zu Elterngeld.

Dabei wurde deutlich, wie komplex die Leistung durch ihre verschiedenen Varianten, Kombinationsmöglichkeiten und Einflussfaktoren bei der Berechnung ist. 
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Der Planungsteil im Elterngeldrechner zum Projektstart im August 2022. Unklare Interaktionen und komplizierte Fehlermeldungen machen die Planung zu einem frustrierenden Erlebnis. 

Erkunden – Netnographie und Nutzendeninterviews
Unsere Nutzenden und ihre Hürden verstehen
In der Netnographie haben wir uns mit dem Verhalten der Nutzer:innen und ihren Communities in sozialen Medien beschäftigt. So konnten wir uns ein Bild davon machen, an welchen Stellen besonders viele Fragen auftauchen und welche Lösungen bereits existieren.

Parallel dazu führten wir 16 Tiefen-Interviews durch, in welchen wir über die Themenblöcke partnerschaftliche Planung,  Finanzen und Berufliches und bisherige Berührungspunkte mit dem Elterngeld sprachen.
Zudem ließen wir unsere Interviewees über Screensharing den aktuellen Elterngeldrechner testen und baten sie uns über lautes Denken einen Einblick darin zu geben, wo aktuell die meisten Fragen, Probleme und Erfolgsmomente auftauchen.
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Miro-Frame zur Auswertung der Testings mit dem aktuellen Elterngeldrechner.
Erkunden – Hürden in der Nutzendenrecherche 
Ist unsere Forschung biased?
Während der Interviews mussten wir feststellen, dass unsere Interviewpartner:innen alle auf einen hohen Bildungsstand finanzielle Sicherheit zurückgreifen können. Sie bezogen häufig den Höchstsatz, was nicht dem deutschlandweiten Durchschnitt entspricht.
Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden zusätzlich 16 spontane Vor-Ort-Interviews auf Spielplätzen und in sozialen Wohnungsbau-Siedlungen durchzuführen. Dabei wurde deutlich, dass sich die Bedürfnisse unserer Interviewpartner:innen abhängig vom Einkommen grundsätzlich unterschieden:


❗️Personen mit hohem Einkommen war der Faktor Planen wichtiger (“Wie teilen wir das Elterngeld auf und warum?'')

❗️Für Niedrigverdiener:innen war der Faktor Rechnen zentral ("Wieviel Geld erhalten wir genau und wie können wir damit leben?”)
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Neben einer Excle-Tabelle nutzten wir "Unpacking"-Frames um die Interviews gemeinsam zu besprechen und auszuwerten.
Neben einer Excle-Tabelle nutzten wir "Unpacking"-Frames um die Interviews gemeinsam zu besprechen und auszuwerten.
Die gesammelten Beobachtungen, Informationen und Zitate sortierten wir in einer Affinity-Map nach Themen.
Die gesammelten Beobachtungen, Informationen und Zitate sortierten wir in einer Affinity-Map nach Themen.
Erkennen – Auswertungsergebnisse
Zentrale Erkenntnisse aus Interviews und Recherche
💡 Viele Eltern verstehen die Leistung Elterngeld nicht in der Tiefe und schöpfen sie deshalb nicht voll aus.
Der Planungsprozess rund um das Elterngeld führt bei den meisten Nutzer:innen zu Stress und Frustration. Hervorzuheben ist, dass aus dieser Frustration heraus in einigen Fällen traditionelle Ausfteilungsmodelle gewählt wurden.

💡 Viele Nutzer:innen möchten verschiedene Optionen berechen und vergleichen. Denn nur so kann die Bezugszeit finanziell und/oder zeitlich gut geplant werden. Da das Tool diese Bedürfnisse nicht erfüllt, finden viele Nutzende eigene „Workarounds“.

💡 Partnerschaftlichkeit bedeutet nicht eine 50/50-Aufteilung der Elterngeldzeit.
Vielmehr bedeutet Partnerschaftlichkeit in diesem Kontext gemeinsam eine informierten Entscheidung zu treffen, welche u.a. die finanzielle Sicherheit der Familie gewährleistet. Dabei spielen viele Faktoren, wie auch der Gender Pay Gap, eine Rolle. 
Erkennen – Synthese
Wo können wir ansetzen?
In einem intensiven Synthese-Prozess arbeiteten wir mit Hilfe von Affinity Mapping wiederkehrende Hürden heraus, welchen Eltern gerade begegnen. Anschließend stellten uns zu jeder Hürde die Frage "Was wäre wenn... [es statt dessen so wäre]?". Wir einigten uns gemeinsam auf eine zentrale "Was wer wenn... ?"-Frage, mit welcher wir uns in den Lösungsraum begaben.
Was wäre, wenn Nutzer:innen zu jedem Zeitpunkt ihrer Planung ohne einen großen Wissensstand verschiedene Szenarien durchspielen könnten, um die optimale Entscheidung für ihre Familie zu treffen?

Eindrücke aus dem Synthese-Prozess

Entwerfen – Ideenfindung
Ideenfindung und Machbarkeit
In zwei Ideation-Workshops haben wir gezielt auf Quantität gesetzt. Mit spielerischen Brainstorming-Methoden haben wir außergewöhnliche Ideen ermutigt, welche häufig innovative Elemente beinhalten. Im Anschluss bewerteten wir unsere Ideen auf einer Machbarkeit-Matrix nach Umsetzbarkeit und Innovationspotenzial.​​​​​​​
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Brainstorming-Workshop; wie würde Harry Potter das Problem lösen?
Brainstorming-Workshop; wie würde Harry Potter das Problem lösen?
Besprechen der gesammelten Ideen nach dem Prinzip Keep, Ideale, Boss
Besprechen der gesammelten Ideen nach dem Prinzip Keep, Ideale, Boss
Bewertung der Ideen nach Machbarkeit und Impact in einer Matrix.
Bewertung der Ideen nach Machbarkeit und Impact in einer Matrix.
Entwerfen - Prototyping
Rapid Prototyping Workshop
Wir nahmen unsere Lösungsansätze mit in einen Rapid Prototyping-Workshop im Kreativraum des BMFSFJ. Unsere Protypen fokussierten folgende Ideen:

📑 Optionaler/Verkürzter Formularweg im Rechner
📲 Elterngeld-Bezugs-Modelle speichern und vergleichen
🗓 Optimierte Planung mit einem gemeinsamen Kontingent an Elterngeld-Bezugs-Monaten
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Papier-Skizzen zum Planungsprozess
Papier-Skizzen zum Planungsprozess
Erste Entwürfe für eine Planer-Ansicht
Erste Entwürfe für eine Planer-Ansicht
Entwürfe für das Planen mit einem Kontingent
Entwürfe für das Planen mit einem Kontingent
Entwerfen – Prototyping & Testing
Testen und iterieren
Wir starteten in die Testing- und Iterations-Phase mit zwei verschiedenen Prototypen, die jeweils Vor- und Nachteile mit sich brachten.
Zum Prüfen dieser Entwürfe arbeiteten zu Beginn viel mit spontanen Hallway-Tests. Mit steigender Komplexität der Prototypen setzen wir längere, digitale User Tests an. 
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Analoger Prototyp mit Kalender-Ansicht und haptischem Verteilen eines gemeinsamen Kontingents aus Legosteinen. 

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Digitaler Prototyp mit Listen-Ansicht und Interaktion zum Verteilen der Elterngeld-Monate

Unser Ergebnis
Der Elterngeldplaner
Unser Ergebnis
Das Lego-Kontingent digital
In den Tests wurde deutlich, dass ein gemeinsames Kontingent das partnerschaftliche Denken angestoßen hat und gleichzeitig das Verstehen der verschiedenen Elterngaldvarianten unterstützte. 

Ich widmete mich der Entwicklung der digitalen Kontingent-Anzeige und gelangte zu einer Lösung, die in diese Form bereits im aktuellen Elterngeldrechner implementiert wurde. 

Gestaltungs-Prozess der Kontingent-Anzeige.

Unser Ergebnis
Übersichtlich und intuitiv planen
Die gegenübergestellte Ansicht der Monate pro Elternteil bietet Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit. Dies förderte den partnerschaftlichen Gedanken bei der Aufteilung, weil die Planung nicht länger nacheinander "abgearbeitet" wird, sondern parallel statt findet.
Das immer sichtbar Kontingent führt dazu, dass Eltern die Leistung besser ausschöpfen, da sichtbar ist wenn zur Verfügung stehendes Elterngeld "übrig bleibt".

Ansicht der Planers im Figma-Prototypen.

Unser Ergebnis
Learning by doing
Die implementierte Logik des Planers überprüft die Angaben und passt bei Bedarf die Auswahl an oder lässt gewisse Zuweisungen nicht zu. Einfach formulierte Meldungen informieren Nutzer:innen bei ungültigen Eingaben und erklären die die zu beachtenden Voraussetzungen und Einschränkungen.

Automatische Verteilung von vier Partnerschaftsbonus-Monaten im Planer und Info-Meldung bei unzulässiger Auswahl.

Unser Ergebnis
Zusammenfassung speichern und Planung teilen
💻 Planungsstand speichern und weiter bearbeiten 
Über einen Link können Nutzer:innen immer wieder den jeweiligen Planungsstand abrufen und weiter bearbeiten. Die Eltern müssen also nicht mehr erneut alle Angaben im Formular-Weg machen oder ihre Planung rekonstruieren, um etwas zu ändern.

📲 Visuelle Planung in Messenger-Diensten teilen
Wird der Link zum Planungsstand über einen Messenger-Dienst geteilt, wird automatisch eine visuelle Repräsentation der Planung generiert. So ist direkt sichtbar, zu welchem Planungsstand der Link führt und beide Elternteile können auf die Planung zugreifen und sie weiter gestalten.

📥 Planung lokal speichern
Die ausführliche Zusammenfassung der Planung kann als PDF, Excel-Tabelle oder als Bilddatei exportiert werden. So kann auch lokal auf die Planung zugegriffen werden.

Zusammenfassung der Planung mit Link zum Planungsstand und Ansicht der geteilten Planung im Messenger.

Ausblick
Umsetzungsstand und Implementierung
Unser Prototyp ist auf durchweg positives Feedback unter den Testenden gestoßen und hat zentrale Frust-Punkte des bisherigen Elterngeldrechners aufgelöst. Dennoch sehen wir den von uns entwickelten Prototypen als einen Startschuss für die Überarbeitung des aktuellen Elterngeldrechners, nicht als eine fertige Lösung. Der Rechner umfasst noch einige Aspekte, die wir im Rahmen des dreimonatigen Fellowships nicht abdecken konnten (z.B. Sonderfälle bei der Berechnung, der komplexe Formularweg...). Auch das UI-Design bedarf weiterer Ausarbeitung.

Umso mehr freuen wir uns zu hören, dass unsere Projektpartnerinnen seitens des BMFSFJ eine Weiterführung des Projektes angestoßen haben. Die von uns entwickelte Kontingent-Anzeige wurde bereits im aktuellen Elterngeldrechner implementiert. 
Rückblick
Learnings
Wir Fellows arbeiteten selbstorganisiert, prozessorientiert und agil, so dass wir die nächsten Schritte des Projektes anhand der aktuellsten Erkenntnisse ausrichten und umplanen konnten. Dabei bleiben wir stets im engen Austausch mit unseren Teamkolleginnen aus dem BMFSFJ in Bonn. Neben wöchentlichen Meetings und kurzen Telefonaten führten wir gemeinsam die Interviews und Testings mit unserer Zielgruppe durch. Zu zentralen Momenten des Projektes fanden wir uns zu Vor-Ort-Workshops zusammen, um hier gemeinsam die nächsten Schritte zu gehen und wichtige Entscheidungen zu fällen. 

Diese Art der Zusammenarbeit war extrem hilfreich, da wir stets ein gemeinsames Verständnis von Problemlage und Projektziel hatten und gemeinsam hinter unserer Lösung stehen konnten. 

Zudem gaben wir auch dem Besprechen von Sorgen oder Unzufriedenheit Raum. Das fühlte sich manchmal ausbremsend an, aber war auf lange Sicht extrem wichtig für die Zufriedenheit im Team und damit auch unsere Ergebnisse.

Ich bin dankbar für dieses tolle Team und unseren fantastischen Prozess, der nur durch viel Kommunikation und Vertrauen möglich war!

Meine Teamkollegin Melanie Kalka (BMFSFJ) und ich präsentierten unser Projekt beim Abschlussevent der beiden Fellowship-Programme des Digital Service, Tech4Germany und Work4germany.

Weitere Projekte

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